Vom Schaffen eines eigentümlichen Sounds
Die fünf Komplizen sind Nerds. Doch trotz der Liebe zum frickeligen Detail im jeweiligen Spezialbereich eint sie eine Faszination für das Einfache: Die Musiker*innen geben der bittersüßen Stimme der Bandleaderin Halt, sind mit den ausdrucksstarken Lyrics im Dialog.

Von souliger Samtigkeit bis zum existentiellen Schreien
Wenn die Sängerin in einem Song konstatiert „Ich hab keine Klasse“, klingt das nach gesunder Selbstironie. Und wenn es weiter heißt „Ich hab ein Herz und ich hab ein Gehirn“, mag das eine Binsenweisheit sein, löst sich jedoch beim Hören der Songs unmittelbar ein. Die Texte sind scharfzüngig, fernab von Gefühlsduselei und Befindlichkeitslyrik, bildhaft, kraftvoll, schroff und sensibel zugleich. Und so wie Ellen Bonte mit der Stimme – von souliger Samtigkeit bis zum existentiellen Schreien – niemals vordergründig bleibt, wagt auch die Band den Spagat zwischen berührender Einfachheit und musikalischer Tiefe. Es ist so einfach, es ist schwer.

Wie bei einem Roadtrip geht es in den Soundlandschaften durch verrauchte Räume und neblige Hügel, aufs Meer und in den Wald, in die Innenwelt von Hoffnungsvollen und Hoffnungslosen; und manchmal zeigt sich ein weiter Ausblick, genauso flüchtig wie ergreifend. Auf dem treibenden Fundament aus Schlagzeug und Bass wabert die warme Gitarre, schweben die verwobenen Klangwelten von Querflöte und Geige, funkelt der mehrstimmige Gesang der drei Frontfrauen Bonte, Patzwahl und Schmidt. Mit Kontrabass, Violine und Querflöte im Satz öffnen sich weite Räume und kammermusikalische Rhythmuspassagen. Die Instrumente quietschen, scharren, schuschuhen; hängen sich als Hook ins Ohr.
Und manchmal zeigt sich ein weiter Ausblick, genauso flüchtig wie ergreifend.

In den ausgeklügelten Arrangements experimentieren die Komplizen mit den Stilen, behalten als Kompass jedoch die markante Stimme und die Songs aus der Feder von Ellen Bonte. Die gebürtige Münsteranerin fing als Teenie an, Lieder zu schreiben; geprägt von der Musikbegeisterung ihrer älteren Brüder, von denen sie schon früh Mixtapes mit New Wave-Klassikern wie The Undertones und XTC oder Platten von Tom Waits, The Police und David Bowie „ausleiht“. Und natürlich die Beatles. Sie entdeckt Radiohead und Björk für sich, verliebt sich in Jacques Brel und Leonard Cohen, saugt Lyrik von Bashō und Hilde Domin bis Walt Whitman in sich auf.
In Bontes Texten und in ihren Liedern liegt eine Dringlichkeit.
Mit 16 geht sie nach Kanada und sammelt als Bassistin einer Grunge-Band erste Konzerterfahrung. Ab 20 steht sie dann alleine nur mit der Gitarre bewaffnet auf der Bühne. In Bontes Texten und in ihren Liedern liegt eine Dringlichkeit und punkige Rotzigkeit. Doch beim Auftreten merkt sie schnell, dass Lampenfieber zu einer großen Herausforderung wird. Trotz Auftritten beim Fusion Festival oder als Vorband von Locas in Love scheut sie die Aufmerksamkeit, spielt zweimal im Jahr kleine Konzerte, veröffentlicht ihre Stücke im Selbstverlag und mit marginaler Auflage, verdient ihr Geld als Barbetreiberin und als Texterin.
2016 ändern sich mit dem Umzug nach Leipzig wichtige Vorzeichen in Bontes Leben. Sie wird in der lebendigen Leipziger Open Mic-Szene aktiv. Mit der Sängerin und Selfmade-Geigerin Maren Patzwahl gründet sie ein Duo, mit dem die beiden auf den verschiedenen offenen Bühnen der Stadt spielen. Bei den gemeinsamen Auftritten überwindet Bonte das Lampenfieber, das sie als Soloact plagte.


Sie startet das Projekt „Ellens Komplizen“ mit dem britischen Folkgitarristen Alistair Gordon, der sie auf dem Bass begleitet. Die umtriebige Querflötistin Christin Schmidt, die vom Impro-Elektro-Jazz inspiriert ist, schließt sich ihnen an. Die drei holen den Experimental Rock-Drummer Jonathan Rentsch hinzu und improvisieren auf Grundlage von Bontes Stücken.
Bei den ersten Konzerten von Ellens Komplizen spüren die Zuhörer die Neugier der Musiker, herauszufinden, was passiert, wenn der eigene Spielstil auf den der anderen trifft – und sich dadurch etwas Neues zeigt. Diese Neugier bringt einen eigenwilligen Klang hervor: groovig, verspielt, manchmal zart und zerbrechlich, plötzlich düster, dann wieder wie eine warme Umarmung. Komplex, abwechslungsreich und selten vorhersehbar. Eine Art Indiepop mit Soulvibes und Bluenotes.
Komplex, abwechslungsreich und selten vorhersehbar

Als Gordon wegen des Brexits zurück nach Sheffield geht, steigt der Jazzbassist Franz Schwarznau ein. Die Band kürzt den Namen zu „Komplizen“ und nimmt 2019 eine Demo-EP auf, die auf durchweg positive Resonanz stößt. Um die Soundvielfalt zu erweitern, holt Bonte auch ihre Duo-Partnerin Maren Patzwahl in die Band.
Ein ganz einzigartiges Live-Erlebnis
Die Bühne wird nun zum natürlichen Habitat der Band: Die jeweilige Stimmung des Augenblicks aufnehmend interpretieren die Komplizen ihre Songs im Konzert immer wieder neu und erschaffen ein ganz einzigartiges Live-Erlebnis – eine Frontfrau, die vom Miteinander singt, und eine Band, die miteinander groovt und den Groove des Miteinanders auf das Publikum überträgt.

Wenn Komplizen laut Duden Helfershelfer einer Straftat sind, so ist es im Falle dieser Band das Schaffen eines eigentümlichen Sounds, der genauso melancholisch wie beschwingt wachrüttelt und über die Beine den direkten Weg zur Seele nimmt. Hier schlendert jemand durch die Dünen an einem rauen Tag, sieht das aufgewühlte Meer, Muscheln und Müll im Sand, und fragt sich, was kann ich machen, wo stehe ich in dem Ganzen und wie verhalte ich mich dazu. Das Publikum wandert mit und wird selbst zum Komplizen. Gemeinsam Schwung holen für den nächsten Schritt. Denn es geht weiter. Solange wir gehen.